„Du glaubst mir nicht? Würde ich auch nicht, aber es tut ja nichts zur Sache. Ich nenne es die Wahrheit. Das solltest du auch besser tun, sonst kommen wir uns noch in die Quere.“
Nicken.
„Das heißt, du machst es?“
Nicken.
„Hier ist das Geld.“
„Danke.“
„Wir sehen uns.“
„Ich hoffe nicht.“
„Es wird sich nicht vermeiden lassen. Denke ich.“ Die Blicke der beiden Männer trafen sich, der ältere deutete mit der linken Hand in Richtung Tür. Es war 6 Minuten nach halb 5. Der jüngere Mann verließ, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, die Kellerwohnung, schloss die Tür leise genug um nicht das ganze Haus, sondern nur die Erdgeschosswohnungen aufzuwecken. Auf der Straße klappte er den Kragen seines braunen Ledermantels nach oben und zog den dunkelroten Schal etwas enger. „Regen.“, dachte er. „Passt ja alles zusammen“ während er sich durch die Morgendämmerung auf seinen Nachhauseweg machte. Nachhause? Sollte er sich nicht lieber verstecken? Schulterzucken. Die Straße entlang, links abbiegen und den Fußweg hinter dem zweiten Haus. Ein Fahrradfahrer kam ihm entgegen. Er wich zur Seite aus. Seltsame Konstellation: der Radfahrer auf dem Fußweg und schwarze Lackschuhe auf brauner Erde. Überhaupt, schwarze Lackschuhe und ein brauner Ledermantel. Und dann noch der Fahrradfahrer. Er schüttelte über sich selbst den Kopf, ging weiter durch den Regen. Keine Zeit für Alltagskuriositäten.
Er vermisste sie immer, wenn es regnete. Es sei ihr Wetter, sagte er immer. Wieder schüttelte er den Kopf, als wollte er die Gedanken loswerden. Konzentration. Es gab jetzt Wichtigeres. Das Geld war er losgeworden. Dass er ihm nicht geglaubt hatte, war zu erwarten gewesen. Jetzt musste er nur noch den loswerden, von dem er das Geld hatte. Nur wie, das wusste er noch nicht.
Er schloss die Haustür auf, ging die große Steintreppe nach oben nicht ohne kleine nasse Fußabdrücke zu hinterlassen. Im zweiten Stock strich er sich langsam mit beiden Fingern über die Augenbrauen, nutze ein dreckiges Fenster als Spiegel bevor er weiter nach oben in die Dachgeschosswohnung ging.
Die Schuhe stellte er in die Dusche, den Mantel warf er auf den Badezimmerboden, hängte schmunzelnd seine Krawatte an den Handtuchhalter. Er blickte an sich herunter. Rote Socken. Er lachte kurz, erschrak über sich selbst wegen dieses unerwarteten Frohsinns. Vielleicht sollte er doch bevor er aus dem Haus ging die Augen einmal tatsächlich öffnen, sie nicht nur so weit offen halten, dass ihn keiner im Treppenhaus für einen Schlafwandler hielt.
Er setzte sich auf das Sofa, lehnte sich bequem zurück. Keine Veränderungen gegenüber dem Vortag. Es wunderte ihn, aber er beschloss sich darüber keine Sorgen zu machen. Er seufzte. Marie. Wo sie nur sein mochte? Er drehte sich um und schaute zur Tür, als könne sie jede Sekunde hereinlaufen, strahlend, wie eine kleine Sonne, die jeden verregneten Tag zu einem Sommertag machen konnte, wenn sie nur ein einziges Mal lachte. Marie. Marie. Seine kleine schöne Marie. Irgendwann… aber die Zeit dafür war noch nicht gekommen.
Das Telefon klingelte. Er stand langsam auf.
„Hallo?“
„Hat alles geklappt?“
„Ja. Alles wie besprochen.“
„Gut. Wir sehen uns.“
„Ich hoffe nicht.“
„Ich auch nicht.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen