Als sie wieder aufwachte, war sie allein. Die Tür war offen, aber es war auch im Gang kein Laut zu hören. Sie kannte das Zimmer. Andrejs Zimmer. Was war passiert? Sie konnte keine Antwort darauf finden. Es war, als wäre ihre komplette Erinnerung an die Nacht ausgelöscht.
Ihr Körper fühlte sich an, als wäre sie die ganze Nacht über gegen Türen und Wände gelaufen, über alles gestolpert, was ihr im Weg gestanden hatte und als hätte sie sich beim Fallen immer an einer neuen Stelle verletzt. Sie schüttelte bei diesem Gedanken über sich selbst den Kopf. Was auch immer passiert war… sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie selbst Schuld daran war. Andrej musste sie aber wohl gerettet haben, sonst würde sie nicht in seinem Bett schlafen.
Sie zog die Decke weg, kroch aus dem Bett, betrachtete sich: das Nachthemd, das sie trug, kannte sie nicht. Wahrscheinlich gehörte es Joan. Diese Vermutung hatte sie zum einen wegen dem Blumenmuster, zum anderen weil neben dem Bett Joans Hausschuhe standen und über dem schwarzen Sessel eine warme Stoffhose und eine Strickweste hingen, die beide der Haushälterin gehörten. Sie erhob sich langsam, humpelte ächzend zur Tür, um sie zu schließen. Vor Schmerz stöhnend zog sie das Nachthemd aus, legte es über den Sessel. Es klopfte. "Moment", sagte sie. Eigentlich wollte sie rufen, aber sie war zu schwach dafür. "Bist du wach?" Andrej! Seine Stimme klang seltsam nervös. "Ich ziehe mich an. Ich hab's gleich." Eine Pause. "Ich koch dir Kaffee, Ira. Komm runter, wenn du fertig bist." Ohne auf eine Antwort zu warten, lief er den Gang entlang, die Treppe hinunter, als würde er vor etwas weglaufen. Armer Andrej. Er hatte sich anscheinend immer noch nicht richtig erholt, dachte Ira. Wie auch, wenn ich in seinem Bett geschlafen habe? Strümpfe hatte Joan vergessen, also nahm sie sich ein Paar von Andrejs, die zwar viel zu groß waren, aber das machte ihr nichts aus. So heruntergekommen wie sie mit den weiten Kleidern und zerzausten Haaren aussah, waren zu große Strümpfe egal. Und viele Leute würden sie so auch nicht sehen. Joan sicherlich, und Andrej, aber sonst? Schlafen konnte sie nicht mehr, aber für mehr als in die Küche zu gehen, reichte ihre Kraft nicht.
Sie öffnete die Tür, ging langsam den Hausflur entlang, während sie sich fragte, wie um alles in der Welt, sie die Treppe herunter kommen sollte, ohne vor Schmerzen zu schreien.