Sie stand an dem kleinen, nahezu quadratischen Fenster, schaute nach draußen. Die rote Tasse Tee, die ihr Joan, die Haushälterin, gegeben hatte, hatte sie auf den hölzernen Schreibtisch gestellt. "Sorge dafür, dass er es trinkt, Ira", hatte sie gesagt. Deshalb wartete sie.
Die Nacht war schwarz und kalt. Auch wenn der Himmel teilweise bewölkt war, waren über dem Wald viele, viele Sterne zu sehen; manche heller, manche schwächer leuchtend dekorierten sie die Winternacht. Bäume bewegten sich sachte im Wind. Schon bei dem Gedanken daran, dass sie, um nach Hause zu kommen, nach draußen musste, lief dem Mädchen ein eiskalter Schauer den Rücken herunter.
Schritte im Gang näherten sich der Tür des Zimmers, doch hielten kurz vor der Tür inne. Ira lächelte. Die Tür hatte sie nicht geschlossen, sondern einen kleinen Spalt offen gelassen. Diese Veränderung musste ihm aufgefallen sein. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn zögern, zählte die Sekunden, die er brauchte um in seiner Verwirrung darüber, ob jemand in seinem Zimmer war oder ob er die Tür wirklich nicht ganz geschlossen hatte, abzuwägen, ob er hineingehen sollte oder nicht, dann, langsam, die Tür öffnen… Aber zumindest letzteres tat er nicht. Stattdessen ging die Person im Gang ein Stück zurück, jedoch nicht weit genug, als dass Ira Zeit gehabt hätte, sich darüber zu wundern, und kehrte nach nur ein paar Schritten wieder zurück. Die Tür flog auf. Sie drehte sich um.
Der Blick des junges Mannes verleitete zu der Annahme, dass er wohl alles außer Ira erwartet hatte. Keine Sekunde war vergangen und niemand hätte mehr sagen können, was er gerade dachte oder fühlte. Beiden war klar, dass Ira um seine immer noch andauernde Verwirrung, weshalb sie da war, wusste. Es gab keinen Anlass, sich darüber zu äußern.
"Hej", sagte er mit gewollt ruhiger Stimme, während seine Augen auf der Suche nach Veränderungen langsam durch sein Zimmer glitten. Sein Blick verharrte eine Weile auf der Teetasse. Er fauchte leise. "Hat Joan dich geschickt?", fragte er unnötigerweise. Nicken. Er sah deutlich besser aus als am Nachmittag. Sie hatte sich Sorgen gemacht, aber die Blässe war der auch sonst hellen Hautfarbe gewichen. Nur seine Augen wirkten noch müde und leer. "Ich trinke das nicht", verkündete er feierlich. Ira war ein wenig verunsichert. Natürlich hätte sie erwarten können, dass er sich weigert, sonst hätte sie nicht eigens warten müssen, aber… "Warum?" Es ließ sich Zeit, bevor er antwortete: "Weil ein Beruhigungsmittel drin ist. Und ich möchte jetzt noch nicht schlafen und später, wenn ich es trinken könnte, ist es kalt und schmeckt noch grauenvoller als jetzt." Daher wehte also der Wind. Joan hatte allerdings Recht: er sollte schlafen. So viel wie möglich. Was auch immer er in der Nächten zuvor getan hatte (sie wollte es gar nicht wissen), es hatte ihn erschöpft und ausgelaugt. Schlaf war wichtig.
"Andrej, kannst du es nicht einfach trinken und schlafen. Ich möchte Joan nicht anlügen… und wollte eigentlich schon zu Hause sein." - "Du willst heim?" Andrej hob die Augenbrauen hoch. "Es ist eiskalt draußen. Bleib hier. Sonst wirst du krank." Er hielt inne. Kein Wort darüber, was sie Joan sagen sollte.
Sie seufzte. Er hatte recht, aber bleiben wollte sie auch nicht. Es gab keine rationale Begründung dafür, aber irgendetwas in dem Haus verängstigte sie, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, was es war.
Ira atmete tief ein. "Ich gehe jetzt. Trink es oder trink es nicht. Ich sag Joan Bescheid, dann kann sie selbst herkommen." Sie wartete auf eine Antwort, aber er tat ihr diesen Gefallen nicht, saß stattdessen stumm und mit unveränderter Miene auf dem schwarzen Sessel, beobachtete sie. "Gute Nacht, Andrej." Immer noch ruhig. Seltsam.
Sie ging langsam zur Tür, sodass er, wenn er wollte, doch noch etwas sagen konnte. "Du kannst nicht gehen.", sagte Andrej als sie gerade nach der Türklinke griff. Sie ging wieder einige Schritte auf ihn zu, musterte ihn. Er war aufgestanden, ging ihr entgegen. "Warum nicht?", fragte sie, als er an ihr vorbei zu Tür ging.
Er drehte den Schlüssel.
"Die Tür ist verschlossen.", sagte er. "Du kannst nicht gehen."
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