Ruhig, Ira. Alles ist in Ordnung. Es ist gar nichts. Andrej stand noch an der Tür. "Darf ich, bitte, gehen?", fragte sie. Durch ihre Stimme schimmerte der gescheiterte Versuch, sich zu beruhigen und einen Sinn in das Geschehene zu bringen, wie helles Licht durch groben schwarzen Stoff. Er schüttelte den Kopf. Ira erstarrte.
Sie konnte nicht sprechen, sich nicht bewegen, nicht klar denken. Was war das? Sie kannte Andrej. Groß und stark, schnell verärgert und brutal. Trotzdem hatte sie sich nie vor ihm gefürchtet. Bis jetzt… "Du kannst doch nicht….. Ich meine…", stammelte sie, während er sich von der verschlossenen Tür zum Fenster hin bewegte. "Sei still", sagte er, ohne sie anzusehen. Etwas in seiner Stimme ließ sie auf der Stelle gehorchen. Sie zitterte. Was würde er mit ihr machen? Würde er wirklich… sie schaffte es nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Andrej stand am Fenster, drehte ihr den Rücken zu, genoss den Sternenhimmel. Ira schaute sich um. Der Schlüssel steckte noch in der Tür. Lauf! Du kannst entkommen. Es sind nur ein paar Schritte! Aber sie konnte sich nicht bewegen, stand regungslos an der immer noch gleichen Stelle, das Türschloss anstarrend.
Erst als sich Andrej zwischen Ira und Tür gestellt hatte, gelang es ihr notgedrungen, den Blick davon abzuwenden. Andrej. Lieblicher, grober Andrej. "Hab ich dir jemals etwas getan, Ira?" Es lag eine unerwartete Trauer in dieser Frage, die Ira nicht ganz einzuordnen wusste. Die Antwort war ein klares Nein. Nicht mental, nicht physisch, aber die Angst vor dem, was noch folgen könnte, hatte sie beinahe überwältigt. Ja!, log ihre innere Stimme schamlos, um sie zu schützen. Atme ruhig und gleichmäßig. Alles wird hoffentlich gut. "Nein", sagte sie schließlich, genervt darüber, dass ihre Stimme versagt hatte, das Flüstern ihre Angst noch offensichtlicher präsentierte, als sie ohnehin schon war. Andrej schien erleichtert. Er stand jetzt direkt vor ihr, versuchte ihren Blick aufzufangen, aber sie schaute weg. Die Vorstellung allein, dass seine eisblauen Augen sie durchdrangen, jede Bewegung wahrnahmen und jeden klaren Gedanken, den sie zu fassen versuchte, im selben Moment erfassten, war Qual genug. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie wollte zurückweichen, aber die Starre blockierte sie.
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