Die Küchentür stand weit offen. Joan saß nach vorne gebeugt an dem runden Küchentisch, strickte an einem weinroten Pullover. Sie lächelte kurz, mitleidig, als sie Ira kommen sah, schaute aber schnell wieder nach unten. "Morgen", sagte Ira leise. Joan nickte kurz. "Setz dich", sagte sie, stand sofort auf und schenkte Ira eine Tasse Kaffee ein. "Ich muss nochmal kurz zum Chef", entschuldigte sie sich und verließ das Zimmer. Seltsam war es. Warum wollte es Joan vermeiden, lange bei ihr zu sein? Dass sie nicht zu Mikhail, dem Hausherrn, musste, war sicher. Es war kurz vor 12 Uhr; Mikhail war längst in sein Hotel gefahren. Aber es blieb Ira keine Zeit, über Joans Lügen nachzudenken, als Andrej die Küche betrat. Andrej. Sie war bei ihm gewesen, hatte ihm den Tee gebracht. Trink das! - Was? Warum? Ich… Sie hatte den Tee getrunken. Sie spürte wie die Angst in sie zurückkehrte. Selbst im sitzen, spürte sie ihre Beine schlackern. Warum? Die Tür. Der Schlüssel. Kopfschmerzen. Andrej? Hatte er ihr das angetan? Hatte er wirklich…? "Guten Morgen. Schön, dass du wach bist", sagte er. Ira starrte ihn fassungslos an. Das konnte nicht sein. Das war… unmöglich. Das war…
"Hast du…", wollte sie ihn fragen. Ihre Stimme versagte. Hinterlistig betrogen, sie ausgenutzt, sie vergewaltigt. Das war es. Sie hatte den Gedanken zu Ende gebracht. Sie schaute weg, konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen. Er sah schlecht aus, fand sie. Stopp! Hör auf Mitleid zu haben! Armer Andrej… Nein! Verdammter, brutaler, egoistischer Andrej! Sie konnte es nicht fassen, dass er ihr das angetan hatte. Sie hatte geglaubt, er sei anders als die anderen, hatte geglaubt, er hätte ein weiches Herz unter der harten undurchlässigen Hülle, aber sie hatte sich bitter getäuscht. Es fühlte sich an, als hätte er sie verraten, aber das war gar nicht so. Oder? Dieser Mistkerl hat dich vergewaltigt. Du musst jetzt ängstlich sein, das Zimmer verlassen, ihn anschreien, zur Polizei gehen, ratterte es durch ihren Kopf. Sie ignorierte es, sah nur den jungen Mann fragend an.
"Es gibt keine Entschuldigung dafür", sagte er leise. Diesmal war er es, der wegschaute. Ira fixierte ihn, versuchte seine Schutzmauer zu durchbohren, herauszufinden, was ihn so aus der Bahn gebracht hatte. Vielleicht, das hoffte sie, war er doch bemitleidenswert, denn sie konnte nicht, wenn sie auch wusste, dass es besser wäre, aufhören, sich um ihn Sorgen zu machen, anstatt ihn zu hassen, für das was er ihr angetan hatte. Sie wartete eine Weile, verbannte ihre Schmerzen in ein anderes Universum, während sie genüsslich einen kleinen Schluck Kaffee trank. "Was ist passiert? Vorgestern?"
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen